Die Tschetschenische Republik ist Teil des im Januar 2010 geschaffenen Förderationskreises Nordkaukasus der Russischen Förderation. Im Jahr 2010 zählt die Republik etwa 1,27 Mio. Einwohner und Einwohnerinnen, wovon die meisten als ethnische Tschetschenen gerechnet werden. Ein Fünftel der Gesamtbevölkerung lebt in der Hauptstadt Grosny.
Vorherrschende Religion ist der Islam sunnitischer Ausrichtung. Quer zur Struktur staatlicher Verwaltung steht das Clansystem. Die Clans (teip) bestimmen gerade in den Gebirgsregionen und im ländlichen Raum die Handlungsräume der Menschen. Es gilt das Sittengesetz (adat). Im Laufe des 19. Jh. wurde der tschetschenische Raum im Nordkaukasus in das Russische Reich eingegliedert. Bis heute leisten unterschiedlichste Gruppierungen anhaltend Widerstand gegen die russische Verwaltung in Tschetschenien und kämpfen für Selbstbestimmung. Zudem ist das Land stark geprägt durch die Auswirkungen stalinistischer Diktatur. Der Kollaboration mit den deutschen Faschisten beschuldigt, wurden hunderttausende Tschetschenen 1944 nach Sibirien und Nordkasachstan deportiert. Das Europaparlament bezeichnete diese Deportation als „Akt von Genozid“. Erst mit Beginn der Entstalinisierung durften die Überlebenden 1957 in ihre Heimat zurückkehren.
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Erster und Zweiter Tschetschenien-Krieg
Die Auflösung der Sowjetunion führte auch in Tschetschenien zu erneuten Unabhängigkeitsbestrebungen. 1991 erklärte sich die Republik für unabhängig. In den folgenden beiden Tschetschenien-Kriegen (1994–1996 und 1999–2000) kamen zehntausende Menschen ums Leben und Hunderttausende verloren ihr Heim. Weite Teile der öffentlichen Infrastruktur wurden zerstört. Die Kriege und die darauffolgenden Jahre waren von Entführungen und Menschenrechtsverletzungen geprägt, welche größtenteils bis heute nicht aufgeklärt werden konnten. Erst 2009 erklärte die russische Regierung das offizielle Ende des Anti-Terror-Einsatzes und den Abzug des Militärs aus Tschetschenien.
Sicherheit und Stabilität im Zeichen der „Tschetschenisierung“
Im Rahmen der von Moskau betriebenen Politik der „Tschetschenisierung“ wurde die Regierung des Landes in die Hände von Tschetschenen gelegt. Unter der Regierung des seit 2007 amtierenden Präsidenten Ramsan Kadyrow wurde die Hauptstadt Grosny weitläufig wieder aufgebaut, Schulen und Krankenhäuser wurden neu errichtet. Die Mordfälle und Entführungen sind rückläufig. Doch nach wie vor sind zahlreiche schwere Menschenrechtsverletzungen zu beklagen.
Die Folgen der Kriege für die Gesellschaft
Neben den Zerstörungen hatten die Kriege gravierende soziale Auswirkungen. Durch die Deportation der 1940er Jahre und die jüngsten Kriege wurden die Autorität der Ältesten der Clans und die traditionellen Werte erschüttert. Eine religiös geprägte Reglementierung des öffentlichen und privaten Lebens durch die Regierung nimmt stetig zu. Gerade für Frauen hat die Entwicklung des Landes ein sinkendes Heiratsalter und einen Bedeutungsverlust im öffentlichen Raum zur Folge. Kopftuch und langer Rock sind für den Besuch öffentlicher Gebäude vorgeschrieben.
Bildungsnotstand und Fachkräftemangel
Zwar wurden unter der Regierung Kadyrow Schulen wiedereröffnet, doch oftmals fehlt es an den notwendigen Unterrichtsmaterialien und qualifizierten Lehrkräften. Die Zugangsmöglichkeiten zu Studium und Arbeitsplätzen werden durch Protektion, Patronage und Korruption stark begrenzt. Die Schattenwirtschaft nimmt einen großen Raum ein. Der Mangel an gut ausgebildeten Arbeitskräften wird dadurch weiter verschlimmert, dass viele Studierende wegen zeitweiligen Schließungen der Universität und der schlechten Bedingungen während der Kriege ihr Studium abgebrochen oder gar nicht erst begonnen haben. Die heute Zwanzigjährigen, also die potentiellen Gestalter des langfristigen Wiederaufbaus, haben viel Zeit ihres Lebens mit dem Kampf ums Überleben verbracht und daher oft mit Bildungsdefiziten und teilweise auch mit psychischen Problemen zu kämpfen. Mit unserem Stipendienprogramm möchten wir daher tschetschenischen Studenten und Studentinnen die Möglichkeit bieten, einen Hochschulabschluss in Deutschland zu erwerben. Sie sollen damit ein Projekt zum gesellschaftlichen und kulturellen Wiederaufbau ihrer Heimat vorbereiten, welches sie im Anschluss an ihr Studium umsetzen wollen. Dieses Stipendium finanziert den gesamten Studienaufenthalt in Deutschland, inklusive vorbereitender Sprachkurse.